Frank Christian Hinrichs ist ein vielbeschäftigter Mann. Neben seinen Tätigkeiten als Leiter Energy & Mobility Convergence Consulting bei der Deutsche-Bahn-Tochter DB E.C.O. Group und als Geschäftsführer des Consulting-Unternehmens für Mobilität und Energie inno2grid GmbH ist er erneut zum Vorstandsvorsitzenden des Open District Hub e. V. gewählt worden. Der ODH ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für das Schaffen von klimaneutralen Stadtquartieren und die Sektorkopplung von Strom, Wärme und Mobilität einsetzt. Der ODH ist eine Initiative zur Vernetzung und Kompetenzsteigerung aller Beteiligten. Die Mitglieder sind Unternehmen aus der Energiewirtschaft, Immobilienwirtschaft, Technologieausrüstung, Mobilität, außerdem Softwareentwicklung, Projektierer, Wissenschaft, Rechts- und Unternehmensberatung. Der Verein wurde 2018 gegründet.
Was hat sich beim ODH verändert, seitdem du vor drei Jahren erstmals den Vorstand übernommen hast?
Es ging erst einmal darum, den Aufbau des noch jungen Vereins zu vollenden. Mit der Corona-Pandemie hatte der ODH nach seiner Gründung keinen einfachen Start. Wir sind jetzt aus den Kinderschuhen raus und etablieren jetzt den ODH verstärkt in der Öffentlichkeit. Dazu steht neben dem Bekanntmachen der vorhandenen Lösungen für Quartiere und die Sektorkopplung vor allem die Weiterentwicklung des Vereins im Zentrum. Diese zweite Phase steht unter dem Primat Vernetzung, konkrete Kontaktherstellung, Projektvermittlung, neue Angebote für Mitglieder, Transfer der erzielten Ergebnisse in den politischen Raum und Wachstum. Wir wollen vor allem weitere Mitstreiter für den Verein gewinnen.
Sind alle Sektoren, die zur Energiewende beitragen, beim ODH gleichermaßen engagiert?
Sektorenkopplung von Strom, Wärme und Mobilität ist das zentrale Element unserer Strategie. Wir sind beim ODH davon überzeugt, dass die systemischen Probleme in der Energie- und Mobilitätsversorgung nur durch die branchenübergreifende Zusammenarbeit wirkungsvoll gelöst werden können. Ein Quartierskonzept ist eine sehr gute Basis – mit dem notwendigen Weitblick für die kommunale Wärmeplanung.
Wir müssen unterscheiden zwischen technischen Sektoren, die aus dem funktionalen Gedanken heraus notwendig sind, um ein Quartier zu 100 Prozent aus Erneuerbaren zu versorgen, und solchen Playern im gesellschaftlichen Raum, die eher auf der Nutzer- oder Anwenderseite stehen.
Mit Technologie-Providern sind wir gut gerüstet. Das andere sind systemische Anbieter wie Stadtwerke und Wohnungsunternehmen. Wo wir aktuell ganz besonders nach geeigneten Partnern suchen, ist der Finanzsektor. Quartiersprojekte und Sektorenkopplung werden nicht mehr nur aus öffentlichen Geldern finanziert werden können. Es wird auch privates Kapital nötig sein, um das Investment in die Zukunftsfähigkeit von Quartieren von Anfang an auf gute Beine zu stellen. Wir suchen für den Verein aber auch im Energie-, Immobilien-, Technologie- und Mobilitätssektor nach weiteren Partnern. inno2grid ist im ODH bislang der einzige Player, der dezidiert Mobilitätsthemen vertritt.
Denkst du beim Thema Investment an Impact-Investoren und Infrastrukturinvestoren?
Es betrifft den Bankensektor oder grober gefasst Finanzdienstleister im Unterschied zu Investoren, die sich mit eigenem Kapital an einer Betreibergesellschaft beteiligen. Beides gibt es unter den Impact-Investoren, also beispielsweise große Rentenfonds, die langfristig gut anlegen, aber auch purpose-gesteuert in neue und grüne Themen investieren wollen. Bei klassischen Immobilien-Projektentwicklern und -Investoren steht der Case im Vordergrund. In einer allgemein schwierigen Finanzierungs- und Fördersituation sind sie daran interessiert, stabilere Cases aufzubauen.
Gibt es Investmentvehikel für Mobilitätslösungen oder Startups in dem Bereich?
Dass ein Nichtbetreiber in reine Mobilitätslösungen investiert, ist eher unwahrscheinlich. Aber alles andere ist schon möglich. Es werden durchaus Startups gefunded, die am Ende ihre Leistung in die Quartiersentwicklung einbringen. Im Prinzip wird aber in einen Quartiersaufbau investiert, also in das Asset Immobilie.
Was sind die Ziele des ODH für die kommenden drei Jahre?
In den nächsten Jahren wollen wir noch stärker die branchenübergreifende Expertise im ODH für Sektorkopplung und Quartierslösungen einbringen und ein deutliches Mitgliederwachstum hinlegen, in allen sechs Branchen, in denen wir unterwegs sind. Damit wollen wir einerseits Politik und Kommunen bei der Sektorkoppplung, Quartiersentwicklung und Wärmeplanung unterstützen. Andererseits wollen wir den Verein besser aufstellen, um den wachsenden Herausforderungen bei der Interessenvertretung und den Mitgliederservices gerecht zu werden. Wir haben eine kleine, schlagkräftige Geschäftsstelle, die wir ausbauen wollen, um mehr Angebote zum Austausch entwickeln zu können, neue Veranstaltungen, wie das ODH-Herbstforum, und neue Formate, wie die ODH-Quartier Awards, die wir im letzten Jahr zum ersten Mal verliehen haben.
Die Umfragen unter unseren Mitgliedern, die wir einmal im Jahr durchführen, zeigen, wie hoch der Informationsbedarf bei allen ist, und wie wichtig die konkrete Vermittlung von Kontakten über Branchengrenzen hinweg ist. Es geht vor allem um das Aufbrechen von Silos, um die einzelnen Welten zu verbinden. Nur auf diese Weise können neue, innovative Lösungen entwickelt werden. Darum suchen wir aktive Mitglieder, die in dieser Community mit anpacken wollen, eigene Ideen für Projekte einbringen, Ergebnis-Transfer betreiben und eigene Entwicklungsarbeit zum Wohl von zukunftsfähigen Stadtstrukturen mitbringen.
Kommen die Fortschritte in Sektorenkopplung, Wärme und Mobilität aktuell eher aus der Forschung oder aus der Anwendung?
Als inno2grid sind wir Teil eines großen Forschungsprojekts in Berlin. Da geht es um die Frage, wie kriegen wir Transportinfrastruktur und Energieinfrastruktur in einem Stadtquartier im Bestand sinnvoll aufeinander abgestimmt, bei einem Höchstmaß an öffentlicher Nutzung auf Basis von erneuerbaren Energien. Wir haben zehn Jahre lang in diesem Bereich gearbeitet, mit einer grundsätzlichen Aufgeschlossenheit von Playern im Immobiliensektor, soweit es die klassischen immobilienwirtschaftlichen Routinen nicht stört.
Wenn man aber Strom, Wärme und Mobilität zusammenführen will, muss man sich von alten Mustern befreien. Es gibt neue Treiber, es gibt New Work, es gibt Klimaanpassungsnotwendigkeiten, die ziemlich direkt zu wirken beginnen. ESG hat dem Ganzen einen auch finanzwirtschaftlichen Rahmen gegeben, so dass sich jetzt immer mehr Anwender an uns wenden und Unterstützung bei konkreten Lösungen suchen.
Es sind genug Forschungsergebnisse vorhanden, die den richtigen Weg weisen. Am Ende ist es meistens die Verbindung mit den unterschiedlichen Problemstellungen, die zu einer gemeinsamen Lösung führen. Mobilität ist immer noch gesteuert von den Bedürfnissen des Menschen und von der Art und Weise, wie das Quartier erlebt, geplant, gebaut und betrieben wird. Wir beginnen bei der Abschätzung der Bewegungsgewohnheiten deutlich mehr Sicherheit zu gewinnen.
Kommt bei der Entwicklung von Modellquartieren der aktuelle Stillstand im Immobilienmarkt in die Quere?
In Zeiten, in denen sehr genau überlegt wird, was und wo man investiert, ist auch die Neigung, Neues auszuprobieren, durchaus weniger ausgeprägt. Es sei denn, es bringt auf der wirtschaftlichen Seite enorme Vorteile. Da ist zum Beispiel der Stellplatzschlüssel der genehmigenden Gemeinde. Es kann enorme Auswirkungen auf die Rentabilität eines Bauwerks haben, wenn auf eine Tiefgaragenebene verzichtet werden kann.
Entspricht das, was der ODH fördert, weitgehend den ESG-Kriterien der Institutionellen Investoren?
Ja, hinter ESG steht ja nichts anderes als die Konformitätsprüfung auf Zukunftsfähigkeit aus dem Footprint-Gedanken. Werden diese Immobilien den Umweltanforderungen gerecht, den sozialen Anforderungen eines bezahlbaren Wohnraums? Es ist mir noch nicht untergekommen, dass ein Quartier komplett alle Kriterien der Nachhaltigkeitsagenda 1 : 1 erfüllt, sondern man konzentriert sich auf einen Aspekt.
Unser Bestreben beim ODH ist, dass zu jedem wichtigen Parameter auf der Nachhaltigkeitsagenda Quartiere als Referenzobjekte zur Verfügung stehen. Die Idee des ODH-Kompendiums von Modellquartieren, das Sie auf der ODH-Webseite finden, ist eine Sammlung von Best Practices. Wir arbeiten daran, dass das der neue Stand der Technik wird.
Kann Quartiersentwicklung auch in den urbanen Zentren stattfinden?
Bei Zentrumslagen geht es meist eher um Fragen der Sanierung, der Modernisierung, der Neuausrichtung von Bestehenden, mit Umnutzung, was ja an sich schon einen positiven Impact hat. Wir wissen, dass Neubau am Ende nicht die alleinige Lösung für die Energiewende darstellt.
Kann man in internationalen Krisenregionen, zum Beispiel der Ukraine, wo Infrastruktur, Energieproduktion und der Immobilienbestand gleichzeitig zerstört sind, mit den Instrumenten der Quartiersentwicklung etwas ausrichten?
Im Mobilitätssektor, genauer bei der Deutschen Bahn, beschäftigt man sich jetzt schon mit der Fragestellung, wie der Bahnsektor in der Ukraine nach dem Krieg wieder aufgebaut und gleichzeitig einen Qualitätssprung erreicht werden kann. Der internationale Arm der DB ECO ist weltweit in Kasachstan, Indien und Ägypten mit Aufbauprojekten beschäftigt – Gott sei Dank meistens nicht kriegsbedingt, sondern in Schwellenländern, die relativ schnell von einem früheren Stand auf den Istzustand kommen wollen.
Gespräch: Frank Christian Hinrichs / Dr. Heinrich Raatschen, 8. Mai 2024